Ludwigshafen.Die Erde muss gebebt haben – bis nach Frankfurt waren die Erschütterungen zu spüren. Der 21. September 1921 war ein schwarzer Tag für die BASF und die ganze Region. Die verheerende Explosion in Beirut in dieser Woche erinnert an dieses tragische Ereignis: In beiden Fällen spielte Ammoniumnitrat eine zentrale Rolle, in beiden Fällen mussten viele Menschen mit dem Leben bezahlen. In Ludwigshafen war die Zahl der Todesopfer mit 561 sogar noch deutlich höher als jetzt im Libanon.
Dabei stand der Stoff ursprünglich für eine große Hoffnung: Er sollte helfen, die Weltbevölkerung zu ernähren. Fritz Haber und der spätere BASF-Vorstandschef Carl Bosch hatten Anfang des 20. Jahrhunderts ein Verfahren zur Herstellung von Ammoniak entwickelt. Es brachte den Stickstoff aus der Luft als Dünger in die Böden. Beide bekamen für ihre Forschung den Chemie-Nobelpreis. 1913 ging die erste Ammoniakanlage in Oppau in Betrieb.
Ammoniumnitrat – ein Salz aus Ammoniak und Salpetersäure – wird allerdings auch zur Herstellung von Sprengstoffen verwendet. Eine Gefahr, die man damals unterschätzte: Am Morgen des Katastrophentags wurde verhärtetes Ammoniumsulfatsalpeter – ein Düngemittel, das aus Ammoniumnitrat und -sulfat besteht – in einem Silo mit Sprengungen „aufgelockert“. Damals war das so üblich, doch dabei entzündete sich die explosive Mischung – insgesamt 4000 Tonnen.
Auf historischen Bildern sind ein riesiger Krater und Gerippe von Gebäuden zu sehen, auch ein Großteil Oppaus wurde zerstört. Noch tagelang hingen Gaswolken über dem Gebiet und behinderten die Rettungskräfte, ist beim Landesarchiv in Koblenz zu lesen. Zunächst war von 244 Toten die Rede; die BASF beklagte anfangs, die Schilderungen in den Zeitungen seien „stark übertrieben“. Schließlich stieg die Opferzahl aber auf deutlich über 500, von vielen Toten wurden die Leichname nie gefunden. 1952 Menschen wurden verletzt. Es handelte sich um die folgenschwerste nicht-militärische Explosionskatastrophe in Deutschland. Der Stoff, der Millionen Menschen Nahrung bringen sollte, habe sich als „grimmiger Feind“ erwiesen, sagte Carl Bosch bei der Trauerfeier. „Hier stehen wir ganz machtlos und ohnmächtig, und all das Selbstverständliche, was wir tun können, um die trauernden Hinterbliebenen und die Verletzten zu trösten, ist nichts im Vergleich zu den Verlusten.“
Wie jetzt in Beirut rühmten auch damals in Ludwigshafen viele die Hilfsbereitschaft und Tatkraft der Bevölkerung. Schon im Dezember 1921 ging die Ammoniakfabrik in Oppau wieder in Betrieb. Die Produktion von Ammoniumsulfatsalpeter stellte die BASF aber ein – und nahm sie erst 1940 unter neuen Bedingungen wieder auf. fab
August 08, 2020 at 05:00AM
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Stoff der Hoffnung wird zum „grimmigen Feind“ - Mannheimer Morgen
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