Monday, September 7, 2020

Limburg-Weilburg: "Es darf nicht an einem Stück Stoff scheitern" - fnp.de

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  • Sabine Rauch

    vonSabine Rauch

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In Deutschland gilt das Recht auf Religionsfreiheit, auch am Arbeitsplatz - das gefällt nicht allen.

Zum Straßenbild gehört er längst - in allen Farben und Formen, mal kunstvoll gewickelt, mal mit Nadeln gesteckt: Mit den Frauen und Mädchen aus anderen Kulturen kam auch der Hijab zu uns, jenes Tuch, das ihre Haare und Ohren, Hals und Nacken bedeckt - immer dann, wenn sie das Haus verlassen, wenn sie sich vor fremden Blicken schützen wollen: im Auto, in der Schule, beim Spazierengehen oder beim Einkaufen. Aber bei der Arbeit?

Im Handwerk gebe es kaum Frauen, die Kopftuch tragen, sagt Stefan Laßmann, der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. Vermutlich seien die klassischen Handwerksberufe einfach nicht attraktiv für gläubige muslimische Frauen. Im Handel sieht es nicht viel besser aus: Ihm sei es jedenfalls nicht bewusst, dass in Limburger Läden Frauen mit Hijab arbeiten, sagt Horst O. Hoppe, der Vorsitzende des CityRings. Höchstens in den Läden der großen Ketten. "Bei uns ist das Kopftuch kein Thema", auch nicht in seinem Geschäft: "Hier arbeiten nur Deutsche."

Aber wo arbeiten Frauen, die Kopftuch tragen? In Apotheken. Vielleicht, weil Apothekerin ein klassischer Frauenberuf ist, genauso wie Pharmazeutisch-technische Assistentin oder Pharmazeutisch-kaufmännische-Angestellte; vielleicht, weil es in diesem Beruf nur auf die Kompetenz ankommt. Vielleicht aber auch, weil hier die toleranteren Chefinnen arbeiten.

Keinen Ausbildungsplatz gefunden

Samar Almano ist so eine. Seit 2015 lebt sie in Deutschland, seit 2017 arbeitet sie als Apothekerin, zunächst in Linter, jetzt als Chefin der Lahn-Apotheke in der Limburger Innenstadt - und immer mit Kopftuch. Für einige Kunden sei das vielleicht schon ein Problem, aber zu ihr gesagt habe das bisher nur einer. "Und auf solche Menschen kann ich auch verzichten." Natürlich sei ihr aufgefallen, dass einige Kunden früher lieber von einer Kollegin bedient werden wollten. Aber vielleicht habe das ja auch daran gelegen, dass sie damals noch jung und nicht so erfahren gewesen sei. "Jetzt kennen mich alle", und wissen, wie viel sie weiß und vor allem, dass sie die Chefin ist.

Lola Emer ist die Chefin der Euras-Apotheke in Hadamar. Sie ist keine Muslima, sie trägt kein Kopftuch, aber sie weiß, wie wichtig Integration ist. Und deshalb tragen nicht nur einige ihrer Kundinnen den Hijab, sondern auch einige ihrer Angestellten, Auszubildenden und Praktikantinnen. "Wenn diese jungen Frauen bereit sind, sich zu engagieren und zu integrieren, dann können wir das doch nicht an einem Stück Stoff scheitern lassen." Dass es eben doch manchmal daran scheitert, weiß Serah Bazarbashi, 17 Jahre alt und Praktikantin in der Euras-Apotheke, aus eigener Erfahrung: Ihre Schwester, wie sie seit fünf Jahren in Deutschland, hatte einen Ausbildungsplatz als Bankkauffrau gesucht, und keinen gefunden. "Sie geht davon aus, dass es am Kopftuch liegt", aber so offen gesagt habe ihr das natürlich kein Personalchef.

Rim Abrass weiß, dass es sogar schwierig ist, einen Praktikumsplatz zu finden, wenn man ein Kopftuch trägt. Vor elf Jahren war die Apothekerin nach Deutschland gekommen, sie brauchte das Praktikum dringend, damit ihr Studienabschluss aus Syrien anerkannt wird. Lola Emer hat sie erst als Praktikantin genommen, dann als Apothekerin eingestellt. Am Anfang hätten sich einige Kunden über das Kopftuch beschwert, wollten sich nicht von ihr bedienen lassen. Irgendwann habe ihre Chefin sie gefragt, ob sie auf das Tuch verzichten wolle, sagt Rim Abrass. Das wollte sie nicht, "es ist ein Teil von mir".

Auf der Suche nach dem Kompromiss

Aber die beiden suchten nach einem Kompromiss. Seitdem trägt Rim Abrass einen Turban oder eine Mütze, "weil es praktisch ist und schick aussieht". Und weil die Kunden damit offenbar besser zurechtkommen als mit dem Hijab. Viele Menschen hätten Vorurteile gegenüber Frauen, die sich verhüllen, sagt die 34-Jährige. "Aber die meisten gestehen sich das nicht ein." Schließlich will kaum jemand ein Rassist sein. Und wenn sie doch mal wieder jemand auffordert, das Kopftuch abzulegen, weil sie doch jetzt in Deutschland lebe und sich den hiesigen Sitten und Gebräuchen anpassen müsse, dann reiche meist ein Hinweis auf die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit.

"Wir müssen immer damit rechnen, dass jemand nicht von uns bedient werden will", sagt ihre Kollegin Rayan Wehbi. Natürlich habe sie Erfahrung mit Rassismus, und sie rechne damit, dass ihr irgendwann einmal jemand das Kopftuch einfach vom Kopf reißt. Trotzdem verhüllt sich die 18-Jährige seit einem Jahr. Und sie ist ziemlich genervt davon, dass sie immer wieder gefragt wird, ob sie dazu gezwungen werde. "Nein", sagt sie. Sie trage den Hijab, die langen Ärmel und langen Hosen freiwillig. Aber immer wieder müsse sie erklären, warum. Es sei schwierig in einer Zeit, in der eigentlich jeder seine Schönheit und jede Menge von seinem Körper zeigen wolle. Natürlich verhülle sie sich aus religiösen Gründen, aber auch aus praktischen: "Es geht um die Privatsphäre." Es gehe keinen Menschen etwas an, wie ihre Haare aussehen, ob sie gekämmt sind oder nicht und ob sie vielleicht Cellulite hat. "Außerdem schützt das Tuch vor Nazar, dem bösen Blick", sagt Rayan Wehbi und lacht.

Aber offenbar nicht immer und überall: Ihre Kollegin Haneen Khoulani berichtet von ihrer Schwester, die für ihr Fachabitur ein Praktikum im Krankenhaus gemacht hat - und sich nicht überall willkommen fühlte. Das sei doch fatal, sagt Lola Emer. "Wir müssen diese Menschen doch integrieren. Wir leben davon, dass sie hier arbeiten." Und das nicht nur aus volkswirtschaftlichen Gründen. Der ruhige, freundliche Ton, die respektvolle Art seien einfach eine Bereicherung. "Wir können froh sein über diese jungen Frauen." Und für sie sei es eine wichtige Erfahrung, dass in Deutschland einiges anders sei als im Libanon oder in Syrien. "Zum Beispiel, dass jeder Mensch an unserem Leben teilhaben kann - auch ohne Schmiergeld." Es seien schon einige Eltern bei ihr gewesen, die Geld für einen Praktikumsplatz geboten hätten, sagt Lola Emer. Und ihre Töchter könnten dann eine sehr wertvolle Erfahrung machen: Dass man für sie nichts bezahlen muss, dass sie einfach so zeigen dürfen, was sie können. Von Sabine Rauch




September 07, 2020 at 11:13PM
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